Die Vorhänge des Zimmers waren dick und fest zugezogen,
als das Telefon klingelte. Im Dunkel hatte ich auf dem Bett gelegen
und vielleicht geschlafen. Manchmal weiß ich das nicht so genau.
Ohne das Aufleuchten des Displays hätte ich das Telefon wohl
nicht gefunden. Die Stimme am anderen Ende der Leitung kam
nach kurzer Einleitung schnell zur Sache und unterbreitete mir
ein Angebot. Nach dem Ende des Gesprächs sackte ich wieder
in das Kissen. Es freute mich, dass eine Flaschenpost an den Strand
gespült worden war. Dass sich eine Aufforderung daraus ergab,
beunruhigte mich jedoch im selben Moment.
Zwar verbringe ich die ersten Stunden des Tages damit zu schreiben,
Texte zu verfassen, scheint aber immer wieder eine unmögliche
Vorstellung. In diesem Fall hieß es zwar: Es würde ausreichen, nur
ein Wort zu schreiben.
Aber was sollte das für ein Wort sein?
Das Szenario gab sich offen und meinte es ernst damit. Aber konnte
das überhaupt gehen? Das Spielfeld hieß Kunst. Auf ihm fängt vieles
lustig an, der Spaß hört fast immer irgendwo auf.
Und plötzlich sehen sich alle Mitspielenden streng an.
Ich finde das faszinierend, aber auch verstörend.
Mich irritiert dieser Ernst. Ich verstehe oft nicht, an was er sich aufhängt.
Jener Ernst, an dem Freundschaften zerbrechen und Liebe oft unmöglich
scheint, gehörte sicher dazu, als ich mich irgendwann für eine Bewegung
an die Ränder der Kunst entschied.
Doch handelt es sich um eine glatte Schräge, auf der man schnell zu einem
Zaungast wird, der nicht mehr mitspielt.
Nun war in dem Szenario des Telefonats weder Kunst von mir gefragt,
noch sollte ich als Künstler auftreten. Genau genommen versprach die
Anordnung des Szenarios eine etwas undefinierte und allein schon
dadurch für mich anziehende Randposition.
Der Anrufer führt ein Handelsunternehmen für zeitgenössische Kunst, das
als besonderes Merkmal einen Verlag betreibt. Die Galerie überwies seit
dem vergangenen Jahr einer Literatin Geld und die schrieb Texte, die
der Verlag zunächst auf der Webseite und später als Buch veröffentlichte.
Jetzt sollte ich dieses Alleinstellungsmerkmal darstellen.
Der institutionsanalytische Blick war aber nur eine Möglichkeit, das
Szenario zu betrachten. Er lag in dem Milieu auf der Hand, aber über
die Vorspeise kam ich damit nicht hinaus. Ich wusste, für mich war ein
solcher Blick über kurz oder lang immer unbefriedigend.
Ich mag Geld.
Bezahlte Texte schreiben sich auch oft umstandsloser als unbezahlte Texte,
bei denen es sich meist um Texte im eigenen Auftrag handelt.
Bezahlung ist ein Vorwand, um etwas zu tun.
Ohne Vorwand kann es sich leicht komplizieren.
Da in diesem Fall am Ende ein Buch herauskommen sollte, war mir klar:
Geld würde nicht ausreichen, um die Anstrengung auf mich zu nehmen.
Während ich immer noch auf dem Bett lag, stellte ich mir jetzt vor, die
zehn Folgen des seriellen Textes zu nutzen, um meinen geheimen Traum
eines Lebens als Restaurantkritiker zu leben.
Das größte Versprechen des Gedankens lag in dem peinlichen Ergebnis.
Im Peinlichen liegt immer eine Möglichkeit.
Das Peinliche ist ein Ort, an den man gehen soll. Da sei etwas, das einen
berührt, behaupten zumindest die Therapeuten.
Ich blamiere mich natürlich genauso ungern wie andere und tue es deshalb
selten mit Vorsatz. Die Anordnung könnte eine Möglichkeit sein, über
einige peinliche Fragen in meinem Leben nachzudenken.
Damit ich nicht sofort damit anfangen musste, suchte ich nach weiteren
Möglichkeiten.
Eine war, über meine Vergangenheit als Künstler nachzudenken.
Das wäre zumindest halb peinlich.
Ich habe nichts anderes gelernt, bin aber seit Jahrzehnten auf der Flucht
vor dem, wohin meine Ausbildung führen könnte.
Gelegentlich träume ich davon zu malen, aber dann wird die Sache
noch komplizierter und fast alptraumhaft.
Stundenlang suche ich nach dem Pinsel und finde ihn nicht.
Als Vermeidungsstrategie schreibe ich.
Jetzt sollte ich also mit einem Unternehmen zu tun haben,
das ansonsten Künstler betreut, aber nicht als solcher, sondern
als wer eigentlich?
Als Literat, wenn ich meine Vorgängerin Heike Geißler betrachtete.
Literatur schreibe ich aber nicht.
Seit mein Sohn zur Schule geht und dort gelegentlich gefragt wird, was
sein Vater arbeite, habe ich mich zwar mit dem Begriff Schriftsteller
abgefunden, damit er eine einfache Erklärung hat.
Ansonsten verwende ich diesen Begriff aber nicht.
Und Literatur lese ich nur.
Früher habe ich gesagt, im falschen Leben will ich nichts werden.
Heute denke ich, es kommt aus einem psychologisch politischen
Gemengelage, dass alles so kam.
Ich glaube, diese Veränderung ist nicht allein der Privatisierung
des Politischen geschuldet, auch wenn die sicher ihren Anteil hat.
Nicht mitzumachen und nichts zu werden, schien 1982 eine Möglichkeit.
Was ich damals für Verweigerung hielt, ist aber schon lange
vergossene Milch.
Ich stellte fest, ich tue gerne etwas, hänge der Vorstellung Nichts zu werden
aber noch nach. Zuletzt passierte mir das mit der Vorstellung, eine Bar
zu kaufen. Es heißt ja, wer nichts wird, wird Wirt.
Meine Vorstellung von dem Kauf der Bar war, am frühen Abend
in das Lokal zu gehen, nach dem Rechten zu sehen und den
Kassenbestand zu ordnen. Morgens um sechs, wenn die Bar schloss,
würde ich meinen zweiten Kontrollgang unternehmen.
Gestern habe ich die Idee verworfen.
Jetzt dachte ich, die Anfrage wäre eine Möglichkeit, über meinen Vater
zu schreiben.
Das kommt jetzt etwas abrupt, aber ich kann das erklären. Fast jedes Mal,
wenn ich in den vier Jahren seit seinem Tod
etwas ausführlicher über ihn und unser Verhältnis sprach, hörte ich
irgendwann den Satz, ich solle darüber schreiben. Ich zucke dann meist
mit den Schultern und sage, vielleicht später oder etwas in der Art.
Eigentlich habe ich mir inzwischen die Ausrede zugelegt, es sei doch zu
naheliegend, wenn alle darauf kommen. Auch schreibe ich eher abstrakt
distanzierte Texte, mag es mir auch leidlich gelingen, das zu vertuschen.
Es wäre mir sicher ziemlich peinlich, über meinen Vater zu schreiben.
Auch müsste ich mir für so etwas Konkretes, wie meinen Vater, vermutlich
erst eine Sprache erfinden.
Am nächsten Tag aß ich zum Mittagessen Zunge und dachte wieder über
diesen Anruf aus dem Haus in der Mutter-Ey-Straße in Düsseldorf nach,
wo ein Vater und sein Sohn in einer Art Familienbetrieb Kunst verkauften.
Ich stellte mir vor, der Vater brauchte einen zweiten Begriff, so wie man
beim Tennis eine Zunge war aber nicht das Wort.
Um den Begriff zu finden, habe ich angefangen mit Max zu sprechen,
ohne ihn in die Suche einzuweihen.